Helfen als Widerstand
Rote Hilfe
Verschiedene Münzen stehen symbolisch für das Sammeln von Geldern durch die Rote Hilfe. Kommunist*innen wurden nicht nur unter dem Naziregime verfolgt, sondern schon zur Zeit des Austrofaschismus unter Engelbert Dollfuß. Sie hatten eine breite politische Organisation aufgebaut und riefen zum Widerstand gegen das autoritäre Regime auf. Das Merkblatt der Roten Hilfe von 1934 informiert über Vorsichtsmaßnahmen vor und nach einer möglichen Verhaftung. Im Merkblatt gibt es nur die männliche Form (z.B. Klassenkämpfer), gemeint sind Männer und Frauen (Klassenkämpfer*innen).
Merkblatt der österreichischen Roten Hilfe über Verhalten gegenüber Polizei und Gericht
Die faschistische Diktatur stellt an alle Klassenkämpfer erhöhte Anforderungen bei der Durchführung ihrer revolutionären Arbeit.
1. Allgemeines Verhalten
Halte deine Wohnung von belastendem Material frei. Mache selbst „Haussuchungen“ und beseitige belastende Dokumente und Materialien. Mache dir unbedingt nötige Notizen nur so, dass sie ein anderer nicht entziffern kann. Frage nicht nach Dingen, die du nicht zu wissen brauchst, und erzähle anderen nichts, was nicht unbedingt notwendig ist. Benimm dich nicht auffallend, tu nicht geheimnisvoll, sprich keinen Genossen an, dem du zufällig begegnest, besonders wenn er sich in Begleitung von Personen befindet, die du nicht kennst. Sei in ständiger Verbindung mit einem Funktionär der Roten Hilfe, damit dieser im Falle einer Verhaftung oder dergl. sofort unterrichtet wird und dir helfen kann.
2. Haussuchungen
Erschrick nicht, wenn Beamte kommen, und bewahre Ruhe. Verlass dich nicht auf gesetzliche Bestimmungen, aber fordere deren Einhaltung. Sprich keine Drohungen und Beleidigungen aus, informiere deine Familienangehörigen zeitig genug über ihr Verhalten.
3. Verhaftungen
Rede auch dann nicht, wenn man dir sagt, ein anderer hätte bereits gestanden, selbst wenn sie Tatsachen erzählen, denn meistens sind es nur Annahmen. Wenn du misshandelt wirst, merk dir die Beamten, gegebenenfalls beschreite den Beschwerdeweg, wenn es auch zwecklos erscheint. Schreibe deinen Angehörigen und verlange einen dir bekannten Rechtsanwalt. Suche über deine Angehörigen Verbindung mit draußen und der Roten Hilfe. Sei vorsichtig mit Kassibern, oft sind sie das einzige Beweismittel. Fasse sie so ab, dass sie dich und andere nicht belasten.
4. In Untersuchungshaft und Massenhaft
Keine Panikstimmung. Rote Hilfe ist da. Sorgt für die Familien! Organisiert Verteidigung! Internationale Solidarität ist groß, besonders in SU. Gemeinsame Forderungen stellen: Unterbringung, Behandlung, Verköstigung, Besuchserlaubnis, Lesemöglichkeiten, Bewegung im Freien usw. Kommissionen wählen, die Forderungen vertreten. Nach außen Berichte schicken, aber Tatsachen, äußerste Vorsicht, Kampfmaßnahmen vorher besprechen und planmäßig steigern, gegebenenfalls bis zum Hungerstreik. Dieser ist eine ernste Waffe. Verbindung mit draußen ist wichtigste Voraussetzung, da ohne sie meist ohne Erfolg. Die Rote Hilfe wird es den Angehörigen nötigenfalls ermöglichen, einen Rechtsanwalt zu stellen.
5. Vor Gericht
Nicht jeder ist ein Dimitroff, aber jeder muss von ihm lernen. Es wird viele Prozesse geben, mit Gruppen von Angeklagten. Eine einheitliche Linie beziehen. Sich nicht gegenseitig belasten. Geschultere Genossen als Wortführer vorschicken. Nicht nervös oder apathisch werden. Alle Chancen ausnützen. An Dimitroff denken. Nicht erschrecken oder einschüchtern lassen. Die Zeit der Befreiung kommt schneller, als eure Richter denken. Dann seid ihr die Richter.
6. Massenverteidigung
Größter Druck von außen auf die Gerichte. Proteste aus Betrieben, Mobilisierung der Wohngebiete, Protestresolutionen und Telegramme an das Gericht. Delegationen, Besetzung der Gerichtssäle durch revolutionäre Arbeiter. Demonstrationen vor Gericht und Gefängnissen. Vor jedem Prozess Öffentlichkeit durch Flugblätter mobilisieren. Vorgänge in der Verhandlung breitester Öffentlichkeit zugänglich machen. Zeugen suchen und Protokolle mit ihnen aufnehmen und dem Gerichte zustellen. Kein Prozess ohne Massenmobilisierung in Betrieben und Wohngebieten. Die Rote Hilfe steht zu euch und euren Familien; sie organisiert die Welthilfsaktion des Proletariats. Sie organisiert den Kampf gegen die faschistische Justiz, für die Befreiung aller Klassenkämpfer aus den Kerkern und Konzentrationslagern.
Biografie Anna Čadia
Biografie Hermine Žlatnik
Objekt
Münzen heutiger Währungen:
Euro, Türkische Lira, Israelischer Schekel, Estländische Krone
Objekt
Merkblatt Rote Hilfe
1934
Quelle
übers meer
Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
E 19279