Kassiber von Gertrude Hausner an Elfriede Hartmann
ca. Jänner 1943

Diesen Kassiber schrieb Gertrude Hausner aus dem Gefängnis in Krems an Elfriede Hartmann, die in Wien eingesperrt war. Gertrude Hausner war 20, Elfriede Hartmann 21 Jahre alt. Beide waren im Kommunistischen Jugendverband (KJV) und in der „Gruppe Soldatenrat“ aktiv. Gertrude Hausner schrieb an Elfriede Hartmanns Mutter und bat diese, den Kassiber ihrer Tochter zukommen zu lassen, indem sie ihn auf ein Stück Papier oder Leinen überträgt und es in ein Kleidungsstück einnäht. Der Kassiber blieb im Nachlass der Mutter von Elfriede Hartmann erhalten. Wie diese Gertrude Hausners Nachricht an ihre Tochter übermittelt hat, weiß man nicht. Im Kassiber geht es um Geständnisse. Die Gefangenen mussten beim Verhör durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) etwas aussagen. Sie hatten nicht das Recht zu schweigen, wie es heute in Demokratien beim Polizeiverhör besteht. Daher schrieben sie einander, was sie ausgesagt hatten. So konnten sie manchmal Strategien entwickeln, um sich und andere zu schützen oder auch ihre Scham teilen, wenn sie dem Verhör, den Folterungen durch die Gestapo nicht standhielten.

Foto 1 bis 4:
Kassiber an die Mutter von Elfriede Hartmann
(Teil 1, 2)

Foto 5 und 6:
Kassiber an Elfriede Hartmann
(Teil 3, Blatt 1)

Foto 7:
Umschlag für alle 3 Teile des Kassibers


Kassiber von Gertrude Hausner an Elfriede Hartmann (Auszüge: Teil 3, Blatt 1 und 2)

Friedl, Servus! Herzliche Grüsse aus Krems u. gelt Friedl, ein baldiges Wiedersehen in der Freiheit. Friedl, bevor ich alles andere schreibe, will ich Dich fragen: bist Du mir böse? Ich bin blöd, ich weiss, hab mir auch schon genug Vorwürfe gemacht. […] Ich hörte, mit Rudi soll das so eine furchtbare Sache sein. […] Ach Du, wenn ich nur gewusst hätte, was ich hätte sagen sollen. Warum haben wir uns das nicht ausgemacht? […] Ich gab v. Rudi an, Dich durch ihn kennengelernt zu haben. Sonst weiter gar nichts. […] Sollte er verhaftet werden, so ist das durch mich geschehen […] Ich gab an: Dich im Sommer 1940 kennengelernt zu haben, daß ich einmal in einem Hause der Triesterstr. war, wo besprochen wurde, daß ich im Druckschriftenverteilungsapparat eingesetzt werden soll. […]

30. Aug. Verhandlg. mit Anni, Edith, Imre [Anna Senhofer, Edith Gadawits, Felix Imre]. Ganz blöderweise gab ich zu, abgezogen zu haben, Kuverts zur Verfügung gestellt und mit dem Apparat, wie dumm ich da reingefallen bin, das weißt du ja. […] Liebe Friedl, kannst Du mit Anni Verbindung bekommen? Wenn ja, dann lasse ihr einig[e] Zeilen zukommen. Und zwar: Ich wollte sie damit nicht belasten u. gab gleich zu, als zentrale Verbindungsperson auf dieser Besprechung bestimmt worden zu sein. Nun gibt aber Anni an, mich vom Herbst 40 bis Sommer 41 als Verbindungsperson […] regelmäßig mit komm[unistischen] Flugschr[iften] beliefert zu haben u. jedesmal von mir Mitgliedsbeitrag erhalten [zu haben]. Das stimmt doch gar nicht. Ich kann das nicht zugeben. Denn wem hab ich wieder das Geld gegeben usw. […]


Edith Gadawits im Gespräch mit
Elisabeth Holzinger


Folter: „Gib’s zu, Du hast keine Ahnung“

Im Februar 42 ist der Ossi [Oskar Klekner] verhaftet worden und ein paar Tage später haben sie mich geholt. Es war mir dann klar, es waren die Briefe. Erfahrung haben wir doch überhaupt nicht gehabt. Wir haben nur gewusst, Gestapo ist was Schreckliches und ich hab mir auch gedacht: „Nicht reinlegen lassen“ und hab mir das Protokoll vom Ossi zeigen lassen und hab noch immer nicht zugegeben.

Dann waren zwei Gegenüberstellungen mit dem Ossi, wo er mir gesagt hat: „Gibs zu. Du hast keine Ahnung, was sie machen. Du hast keine Ahnung, was dir bevorsteht, es ist sinnlos.“ Und das hab ich dann zugegeben und habs nicht auf Folterungen ankommen lassen. Sie haben ja die Briefe auch gehabt und leicht die Maschine festgestellt. Ich hab dann auch den handschriftlichen Brief von meiner Schwester auf mich genommen. Ihn [Oskar Klekner] haben sie gefoltert, bis er was gesagt hat. Diese Methoden haltet schwer ein Mensch aus.

Verhör: „Alles halten konnte man nicht“

Nach 6 Wochen haben sie mich wieder geholt. In der Zwischenzeit haben sie alles ausgegraben, haben festgestellt, wer alles Freunde von mir waren. Da ist dann einiges aufgeflogen, was vorher nicht bekannt war, bestimmte Beziehungen, Kontakte.

Ich hab das als meine Methode gehabt: Wer draußen ist, muss geschützt werden, wer herinnen ist, das ist eh wurscht. Ich glaub, das war richtig, weil alles halten konnte man nicht. Man konnte nur halten, was möglich ist, was draußen schützt, und herinnen das eine oder das andere. Zu der Zeit waren die Todesurteile noch nicht – ich hab bei meiner Verhaftung nicht mit dem Todesurteil gerechnet. Das ist dann erst später gekommen.


Biografie Edith Gadawits

Biografie Elfriede Hartmann

Biografie Gertrude Hausner



Objekt
Kassiber von Gertrude Hausner an Elfriede Hartmann
ca. Jänner 1943
Papier, 3 Teile, beidseitig mit Bleistift beschrieben, Verpackung aus Karton
4×3,4 cm (Teil 1 und 2), 6,7×3,7 cm (Teil 3, 2 Blätter)


Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
20222, Kassiber Hartmann, B 27



Objekt
Zitate von Edith Gadawits im Gespräch mit Elisabeth Holzinger (Audio-Interview)
1983, Wien


Archive
Privatarchiv Projektgruppe Frauen im Widerstand:
Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lisbeth N. Trallori, Lotte Podgornik (Transkript)
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Tonkassetten)



Literatur

Johanna Mertinz, Winfried Garscha (Hg.)
„Mut, Mut – noch lebe ich“
Die Kassiber der Elfriede Hartmann aus der Gestapo-Haft
Wien 2013, S. 64-69

Lisl Rizy, Willi Weinert (Hg.)
„Mein Kopf wird euch auch nicht retten“
Korrespondenzen österreichischer WiderstandskämpferInnen aus der Haft
Wien 2016

Willi Weinert
„Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer“
Wiener Zentralfriedhof – Gruppe 40
Wien 2004

Elisabeth Boeckl-Klamper, Thomas Mang, Wolfgang Neugebauer
Gestapo-Leitstelle Wien 1938 – 1945
Wien 2018

  
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