Überzeugen als Widerstand

Mut, Mut – noch lebe ich
Kassiber zum Todesurteil
1942 – 1943


„Mut, Mut – noch lebe ich“
Elfriede Hartmann an ihre Eltern


„Kopf hoch! ist lieb, doch überflüssig“
Walter Kämpf an seine Eltern


„Ich komme mir vor wie eine alte Frau“
Rosa Hofmann an ihre Familie


„Wenn ihr zaghaft in die Alte Donau tretet“
Hermine Zaynard-Schwarzer an ihre Familie


„Der Kampf zwischen altem und neuem Jahr“
Leopoldine Kovarik an ihre Eltern



Fünf Briefe und Kassiber junger kommunistischer Widerstandskämpfer*innen an ihre Eltern und Familie, in denen sie sich mit dem möglichen oder bereits erhaltenen Todesurteil auseinandersetzen. Elfriede Hartmann, Walter Kämpf, Rosa Hofmann, Hermine Zaynard-Schwarzer und Leopoldine Kovarik waren im Kommunistischen Jugendverband (KJV) und in der „Gruppe Soldatenrat“ aktiv. Ihre Briefe verbindet das Wissen, dass sie nicht als einzige zu Unrecht verurteilt werden, die Solidarität mit ihren Mitgefangenen, der Mut und der Trost, den sie ihrer Familie zusprechen und die Hoffnung, dass Recht und Gerechtigkeit sich durchsetzen werden. Alle fünf wurden 1943 zum Tode verurteilt und im Wiener Landesgericht und in Berlin Plötzensee (Rosa Hofmann) geköpft.




„Mut, Mut – noch lebe ich“
Kassiber von Elfriede Hartmann an ihre Eltern
15. September 1943


Elfriede Hartmann, wurde am 2. November 1943 im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Vorderseite

Meine Lieben!

Vor allem hab ich eine Bitte. Meine Zellengenossin Erna Hedrich hat am 30. 9. Verhandlung (Ort unbekannt). Bitte verständigt ihre Mutter Frau Eipelthauer, Wien XX., Jägerstr. 28/9 davon. Schreibt bitte einen Brief, da Fr. Eipelthauer erst am 22. vom Land kommt. Sie soll am Samstag folgendes bringen: 1 Stoffkleid, 1 Mantel, warme Sachen. – Wegen mir macht Euch keine Sorgen, ich bin nicht im geringsten erschrocken, dass ich schon in einer Woche Verhandlung habe. Im Gegenteil, diese Tatsache hat fast beruhigend auf mich gewirkt. Ich gebe mich keinerlei Illusionen hin, wie ich auch Mama sagte. Bitte auch Ihr dürft Euch keinen Illusionen hingeben, Ihr müsst den Dingen gefasst ins Auge blicken. Bitte, Ihr müsst mit der Überzeugung zur Verhandlung kommen, dass es für mich nur ein Urteil geben kann. Meine Lieben, ich will Euch nichts vormachen, darf es auch gar nicht, denn die Reaktion wäre noch viel

Rückseite

furchtbarer dann für Euch. Bitte esst ein anständiges und ausgiebiges Frühstück, müsst Euch halt dazu zwingen. Nicht, dass, wenn ich aus dem Verhandlungssaal komme und Euch „Tod“ sagen muss, Ihr mir zusammenbrecht. Nehmt Euer Herz fest in beide Hände und seid stark. Ich weiss wofür; Ich habe gekämpft in dem Bewusstsein, dass, wenn ich auffliege, es keine Rettung für mich gibt. Ich war immer darauf gefasst. Für mich ist das Urteil nicht schwer. Also, meine Lieben, Mut, Mut – noch lebe ich. – Sagt, hat Papa Erlaubnis, Wien zu verlassen? Nicht, dass er vielleicht noch deshalb eingesperrt wird, weil er nach Krems kommt. – Bitte, Mama, wenn ich diesen Samstag noch hier bin, so komme auch nächsten Samstag noch her die Wäsche abholen, die ich nicht brauche. Ich lasse sie hier. Sobald ich im Landl [= Landesgericht] bin, holt bitte von der Habe meine Kleider ab, die ich zur Verhandlung mithabe. Und nun, meine Lieben, seid stark und tapfer! Es küsst euch alle, alle,

Eure Friedl


Biografie Elfriede Hartmann


Objekt
Kassiber von Elfriede Hartmann an ihre Eltern
Geschrieben 1 Woche vor ihrer Gerichtsverhandlung

15. September 1943
Stoff, beidseitig mit Bleistift beschrieben, 26×5 cm


Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
20222, Kassiber Hartmann, A9





„Kopf hoch! ist lieb, doch überflüssig“
Kassiber von Walter Kämpf an seine Eltern
16. April 1943 (Auszüge)


Walter Kämpf wurde am 2. November 1943 im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Meine lieben, guten Eltern!

Morgen ist also der große Tag, ein bisserl geschwind ist das jetzt gegangen. Es ist sinnlos, sich noch etwas vorzumachen, Ihr wißt ebenso wie ich, wie es um mich steht. Auch mit einer Begnadigung darf ich nicht rechnen. Aber Ihr dürft Euch nichts draus machen, darum bitte ich Euch. Mir persönlich macht es nichts aus. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Meine ständige Sorge seid nur Ihr, meine Lieben, wie Ihr es aufnehmen werdet und wie Ihr alles tragt. Das ist das einzige, was mich bedrückt und mitunter traurig macht. Sonst kann mich nichts aus der Ruhe bringen. Eure Bitte, „Kopf hoch!“ ist lieb, doch überflüssig. Solange ich ihn noch besitze, meinen Kopf, braucht Ihr nicht fürchten, daß ich ihn hängen lasse.

Was mich schmerzt, ist, daß ich nichts Wahres und Großes leisten konnte, obwohl ich mich dazu befähigt und berufen fühlte. Ich habe mich stets bemüht, ich habe viel gelernt, und stets habe ich darum gerungen, ein lauterer Charakter, ein Mensch zu sein. Es ist schade, daß dies alles ein vergebliches Mühen war. Umsonst! Doch ist auch das kein Grund zum Klagen. Man muß verstehen, die Dinge zu nehmen, wie sie sind, sich mit Verlusten abfinden und nichts nachtrauern, das unwiederbringlich verloren ist. Mein Schicksal ist ja kein Einzellos. Es geht viel blühendes Menschenleben jetzt zugrunde. Es ist nicht schön, dieses Vergehen, ohne daß auch nur eine flüchtige Spur zurückbleibt. Gern hätte ich ein Werk zurückgelassen, in dem ich weiter gelebt hätte, auch nach dem Tod. Auch in Kindern kann ein Mensch weiterleben, schade, daß ich keine zurücklasse. Doch ich finde mich lächelnd mit allem ab. Es war mir eben nicht gegönnt. Wer darf Anspruch erheben vor der Allmacht des Schicksals, eine Ausnahme zu sein? Ihr sollt Euch nicht kränken, liebe Eltern. Ich habe Euch doch schon geschrieben über das Leid und dessen Nichtigkeit. Trauert nicht um mich, versucht, mich zu vergessen, als wäre ich nie geboren.

Doch zurück zur Gegenwart. Mein Verteidiger macht mir nicht den Eindruck, als ob er mir wohl wollte. Er lügt und gemahnt mich eher an einen Staatsanwalt. Alle, die ich kenne, lasse ich herzlich grüßen. Auf eines bin ich stolz: Ich habe niemals bewußt jemand Böses getan. Euch aber, liebe Eltern, bitte ich vielmals um Verzeihung, wenn ich Euch durch Ungehorsam weh tat. Verzeiht mir auch den Kummer, den Ihr jetzt meinetwegen leidet. Bewahrt mir ein gutes Angedenken, beklagt mich nicht. Draußen ist Frühling. Wenn ich auch im Kerker sitze, in mir ist alles heiter wie im Frühling, der uns kündet, daß der Sommer kommt. Wenn auch noch manche Blüte fällt, vom Frost verbrannt, von Sturm und Unwetter vernichtet – der Baum blüht weiter. Er weiß, die wärmende Sonne ist nahe, immer stärker wird das Licht. Auch im Tode noch bleibt die Blüte heiter und hell, wie dieser herrliche Frühlingstag, den ich im Geiste genieße, ruhig in tiefster Seele. Ob ich das alles noch tausendmal sehe, oder ob ich zehn Schuh tief in der Erde liege, es ist gleich. So grüße ich Euch denn, sei’s auch zum letzten Mal – mit Küssen und mit einem Lächeln. Kopf hoch!

Euer Walter


Biografie Walter Kämpf


Objekt
Kassiber von Walter Kämpf an seine Eltern
Geschrieben am Tag vor seiner Gerichtsverhandlung
​16. April 1943

Nur als Abschrift erhalten

Quelle
Herbert Steiner
Zum Tode verurteilt
Österreicher gegen Hitler
Eine Dokumentation
Wien 1964, S. 110f
Eine minimal abweichende Wiedergabe findet sich in Weinert 2016, S. 776ff


Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
1810





„Ich komme mir vor wie eine alte Frau“
Brief von Rosa Hofmann an ihre Familie
9. März 1943 (Auszüge)


Rosa Hofmann wurde am 9. März 1943 in Berlin Plötzensee hingerichtet.

Liebe Mutter und Geschwister!

Heute heißt es Abschied nehmen von Euch, denn das Gnadengesuch ist abgelehnt worden. Aber ich bin ganz ruhig, liebe Mutter. Ich danke Dir, liebes Mütterlein, für Deine Liebe, und ich stehe so tief in Deiner Schuld wegen dem Kummer, den ich Dir jetzt bereite. Wenn Du sehen würdest, wie ruhig ich bin, dann würde auch Dein Kummer nicht so groß sein um mich. Behalte mich immer im lieben Andenken, es sterben jetzt so viele und wissen nicht wofür, musst Du Dir sagen.

Wer weiß, was ich noch alles mitmachen müsste, denn die Jugend ist vorbei, wenn man das erlebt, was ich erlebt habe. Ich komme mir vor wie eine alte Frau und würde nie mehr genauso glücklich sein können, es ist gut so, wie es ist, glaube mir. Ich bin müde geworden in der Zeit. Also, liebes Mutterle, bleib gesund, und auch die Resi und der Toni, werdet noch recht glücklich, und macht der Mutter das Leben schön. Meine letzten Busserln und eine heiße Umarmung schick ich Euch mit tausend Grüßen.

Eure Ratzi


Biografie Rosa Hofmann


Objekt
Brief von Rosa Hofmann an ihre Familie
Geschrieben am Tag ihrer Hinrichtung
9. März 1943


Quelle
stolpersteine-salzburg.at




„Wenn ihr zaghaft in die Alte Donau tretet“
Brief von Hermine Zaynard-Schwarzer
an ihre Familie
3. Oktober 1943 (Auszüge)


Hermine Zaynard-Schwarzer wurde am 19. November 1943 im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Mein liebster Papschi, liebe Schwiegereltern, süßes Lieserl und alle anderen, die mich lieb haben!

Als ich vor Monaten ein Todesurteil nur im Gedanken in Erwägung zog, fuhren mir die Schauer durch die Eingeweide. Zeitweise litt ich unter regelrechten Angstpsychosen. Wenn Ihr an einem kühlen Sommertag zaghaft und langsam in die Alte Donau tretet, überläuft Euch auch ein Kälteschauer nach dem anderen und erst wenn Ihr Euch kurz entschlossen in die Flut stürzt, merkt Ihr, daß es gar nicht so schlimm ist. Ähnlich erging es mir mit dem Todes­gedanken. Als ich durch die Verurteilung gewissermaßen hineingestoßen ward, stellte ich mit Staunen fest, daß ich mir das ganz, ganz anders vorgestellt hatte.

Ich taste meine Psyche ab und stelle allemale mit Verwunderung fest, daß sich nirgendwo, auch nicht in den verborgensten Winkeln meiner Seele Grauen, Furcht und Schrecken festgesetzt haben. Und nicht nur mir, sondern uns allen, die hier das „Schicksal“ vereint hat, ergeht es so. Nun mache ich es mit dem Leben mitunter so wie der Fuchs mit den Trauben, die er nur deshalb als zu sauer bezeichnet hat, weil er sie nicht haben kann…

Meine Lieben, bleibt zuversichtlich und denkt daran, daß meine Kräfte proportional der Belastung wachsen. Seid alle innigst umarmt und geküßt von Eurer Euch so sehr liebenden

Minkerl


Biografie Hermine Zaynard-Schwarzer


Objekt
Brief von Hermine Zaynard-Schwarzer an ihre Familie
Geschrieben nachdem sie vom Todesurteil erfahren hatte
​3. Oktober 1943

Abschrift

Quelle
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
01358A





„Der Kampf zwischen altem und neuem Jahr“
Brief von Leopoldine Kovarik an ihre Eltern
31. Dezember 1942 (Auszüge)


Leopoldine Kovarik wurde am 2. November 1943 im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Meine Liebsten!

Heute ist Silvester! Das alte Jahr geht zur Neige und macht dem neuen Platz. Wie ich noch klein war, kann ich mich erinnern, daß man immer sagte, um 12 Uhr ist der Kampf zwischen altem und neuem Jahr in Gestalt zweier Menschen. Es ist eine logische Sache, daß das neue Jahr, der neue Mensch gewinnen muß. Als Kind dachte ich mir oft: „Was ist, wenn aber das alte Jahr stärker ist und das neue Jahr verliert?“ Die Antwort war immer: „Das gibt es nicht!“

Nein, das gibt es wirklich nicht. So wird es auch mit dem Kampf eines Tages sein. Im Weltgeschehen ist heute der Kampf zwischen dem Sozialismus und Imperialismus. Wir wissen heute schon und können mit derselben Bestimmtheit sagen, wie beim Kampf zwischen alten und neuen Jahr, daß nur der Sozialismus, das neue Leben, die neue Idee siegen kann.

Eure Poldi


Biografien „Gruppe Soldatenrat“


Objekt
Brief von Leopoldine Kovarik an ihre Eltern
​31. Dezember 1942

Abschrift

Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
01358A, 00028



Literatur

Johanna Mertinz, Winfried Garscha (Hg.)
„Mut, Mut – noch lebe ich“
Die Kassiber der Elfriede Hartmann aus der Gestapo-Haft
Wien 2013, S. 142f

Marie Tidl
Die Roten Studenten
Dokumente und Erinnerungen 1938 – 1945
Karl R. Stadler (Hg.)
Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 3
Wien 1976

Lisl Rizy, Willi Weinert (Hg.)
„Mein Kopf wird euch auch nicht retten“
Korrespondenzen österreichischer WiderstandskämpferInnen aus der Haft
Wien 2016

Willi Weinert
„Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer“
Wiener Zentralfriedhof – Gruppe 40
Wien 2004



  
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