Überzeugen als Widerstand
„Obwohl das Leben hier verhältnismäßig stabil ist“
Offizielle Post aus der Haft
1943
Offizielle Post aus der Haft
1943
Brief aus dem KZ Ravensbrück von Anna Čadia an ihre Familie
Postkarte aus dem Wiener Polizeigefängnis Rossauer Lände von Elfriede Hartmann an ihre Familie
Brief aus dem Wiener Landesgericht von Anna Gräf an ihre Mutter
Offizielle Post aus der Haft von drei kommunistischen Widerstandskämpferinnen. Die Gefangenen durften ihren Angehörigen einmal im Monat schreiben und einmal im Monat Antwort erhalten. Anna Čadia engagierte sich bei der Roten Hilfe, Elfriede Hartmann und Anna Gräf waren beim Kommunistischen Jugendverband (KJV) und der „Gruppe Soldatenrat“ aktiv.
Anna Čadias Brief
Im Konzentrationslager Ravensbrück durfte ein Brief zwei Seiten nicht überschreiten und wurde von der Zensur gelesen. Was die Gefangenen bewegte, steht zwischen den Zeilen: Die Zeit im Lager vergeht Anna Čadia „viel zu rasch, obwohl das Leben hier verhältnismäßig stabil ist“. Fotos zu schicken war verboten. Pakete zu bekommen war laut Vordruck auf dem Kuvert ebenfalls „nicht erlaubt“. Das „nicht“ ist aber mit Bleistift durchgestrichen: die SS bediente sich aus den Paketsendungen der Gefangenen.
Elfriede Hartmanns Karte
Im Wiener Polizeigefängnis Rossauer Lände durften die Gefangenen Nachrichten von ihren Angehörigen nur „auf Postkarte“ erhalten. Die Post wurde von der Zensur gelesen und „geschwärzt“, also Textteile unleserlich gemacht, wenn etwas nicht nach außen dringen sollte. Was die Gefangenen bewegte, konnten sie nur andeuten: Für Elfriede Hartmann „geht das Jahr wieder aufwärts“ – je weiter die Alliierten vorrücken. Wollten die Gefangenen etwas Wichtiges mitteilen, schrieben sie Kassiber.
Anna Gräfs Brief
Im Wiener Landesgericht durften Gefangene vier Seiten schreiben. Auch im Gericht wurde die Post von der Zensur gelesen. Anna Gräf wollte ihrer Mutter sagen, dass sie sich für sie „nicht schenieren“ brauche und dass sie wieder „unbescholten ins Leben treten“ werde. Der Brief wurde von der Zensur einbehalten und hat die Adressatin, Anna Gräfs Mutter, nie erreicht.
„Obwohl das Leben hier verhältnismäßig stabil ist“
Brief aus dem KZ Ravensbrück von Anna Čadia an ihre Familie
4. September 1943, Datum Poststempel
Vorderseite
Meine Lieben, schon sehnsüchtig erwarte ich ein paar Zeilen, damit ich weiss ob bei Euch noch alles beim Alten ist. Mir vergeht die Zeit viel zu rasch, obwohl das Leben hier verhältnismg. [= verhältnismäßig] stabil ist. Aber der Ablauf vollzieht sich eben auch so. Nun hat Vera auch schon ihr 14. Jahr hinter sich und ich konnte ihren Geburtstg. [= Geburtstag] nicht mitfeiern. Ich wünsche ihr alles Liebe
Rückseite
u. Gute. Wie hat Mila ihre Prüfung gemacht? Ich hoffe immer, dass wir zu Heini’s Geburtstag alle wieder beisammen sind! Habt ihr Post von O. [= Onkel] Leo? Wenn möglich, schickt mir bitte etwas Zwiebel u. Knoblauch, gr. [= grüne] Paprika, Sacharin u. ein paar Äpfel. Möchte Euch nicht gerne Mühe machen, aber für dieses wäre ich sehr dankbar. Meine Guten, ich kann Euch nicht sagen, wie sehr ich gerade jetzt an jeden von Euch denke! Viele Grüsse an O. Pepsch und Leo, Grossmutter, Tante Ria u. O. Roman, Busserln an Heini, Vera u. Mila u. T. [= Tante] Franzi, Anna.
Briefkuvert, Vordruck
Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück
Fürstenberg i. Meckl. [in Mecklenburg]
Auszug aus der Lagerverordnung: Jede Schutzhaftgefangene darf im Monat einen Brief oder eine Karte absenden oder empfangen. Die Zeilen müssen mit Tinte, übersichtlich und gut lesbar geschrieben sein. Briefe dürfen vier [durchgestrichen, korrigiert auf:] 2 normale Seiten mit je 15 Zeilen und Karten 10 Zeilen nicht überschreiten. Jedem Schreiben darf nur eine 12 Rpf. [Reichspfennig] Briefmarke beigefügt werden, weitere verfallen der Beschlagnahme zugunsten mittelloser Häftlinge. Fotos dürfen nicht geschickt werden. Alle Postsendungen müssen mit Häftlings- oder Blocknummer versehen sein. Pakete jeglichen Inhalts dürfen nicht [durchgestrichen] empfangen werden. Es kann im Lager alles gekauft werden. Geldsendungen sind zulässig, müssen aber durch Postanweisung erfolgen. Nationalsozialistische Zeitungen sind zulässig, müssen aber vom Häftling selbst über die Postzensurstelle des Frauen-Konzentrationslagers bestellt werden. Entlassungsgesuche aus der Schutzhaft an die Lagerleitung sind zwecklos.
Der Lagerkommandant
Biografie Anna Čadia
Objekt
Brief aus dem KZ Ravensbrück von Anna Čadia an ihre Familie
4. September 1943, Datum Poststempel
Papier, A5, Vordruck, mit Bleistift
Archiv
Privatarchiv Eva Schmeiser Čadia
„Nun geht das Jahr wieder aufwärts“
Postkarte aus dem Wiener Polizeigefängnis Rossauer Lände von Elfriede Hartmann an ihre Familie
10. Jänner 1943, teilweise zensuriert, kein Poststempel
Vorderseite
10. 1. 43. Meine Lieben! Ich danke Euch viele, viele Male für Euer liebes Weihnachtspackerl. Mir hat es wunderbar geschmeckt und vor allem hat mich das Bewußtsein sehr glücklich gemacht, daß Ihr immer so lieb für mich sorgt. Ich hoffe sehr, daß Ihr die Weihnachtsfeiertage angenehm verlebt habt und daß Ihr nicht in traurigen, sondern nur in frohen Gedanken an mich gedacht habt. Ich selbst war ganz munter und vergnügt und habe viel an Euch gedacht. Nun geht das Jahr wieder aufwärts, da sind alle Menschen zukunftsfroher und ich hoffe und wünsche sehr, daß
Randnotiz
Seid Ihr auch alle gesund??
Rückseite, links
Elfriede Hartmann
Wien IX/ 66,
Rossauerlände 7-9
auch Ihr es seid.
[Dann folgen zensurierte Textteile.]
Stempel: Antwort lediglich auf Postkarte (einmal innerhalb vier Wochen) zulässig.
Bitte schickt mein grünkariertes Dirndlrockerl!
Viele tausend Küsse. Eure Friedl
Rückseite, rechts
Stapo IV A/ 1
Frau Hermine Hartmann
Wien II/ 27
Obere Donaustraße 43, I/ I/ 11
Stempel: Abgefertigt Nr. 5
Biografie Elfriede Hartmann
Objekt
Postkarte aus dem Wiener Polizeigefängnis Rossauer Lände von Elfriede Hartmann an ihre Familie, teilweise zensuriert, kein Poststempel
10. Jänner 1943
Papier, A6, Vordruck, mit Bleistift
Foto von einer Farbkopie
Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
21974
„Ich werde ja wieder unbescholten ins Leben treten“
Brief aus dem Wiener Landesgericht von Anna Gräf an ihre Mutter
20. Juni 1943, von der Zensur einbehalten, die Mutter hat den Brief nie bekommen
Seite 1
Meine liebe Mama!
Im Anfang viele Grüße und Busserln von Deiner kleinen. Wie geht es Dir denn, bist Du gesund? Habe den Brief und die Karte dankend erhalten. Schreibe mir gleich immer, denn das ist die einzige Freude Post von zu Hause zu bekommen. Liebe Mama ich habe einen Wunschzettel geschrieben, ich möchte Dich gerne wieder einmal sehen, gehe halt auch hin und frage nach. Mir geht es gut, wie es einem hier herinnen geht. Mach Dir keine Sorgen alles geht vorbei, kränke Dich nicht, liebes Mütterlein. Ich sehe Dich immer vor mir, von der Arbeit kommst Du müd zu Hause, gehst Einkaufen, kochst Dir das bißchen, und legst Dich nieder, denkst an mich
Seite 2
und schläfst ein wenn Du zuletzt an den kleinen Poldi denkst. Ich denke jeden Tag an den kleinen. Hier im Haus kommen auch die kleinen zur Welt, da schreien manchmal alle mitsammen und so stell ich mir den Scheißer auch vor. Hast Du für ihn schon eine Handraspel beim Michelfeit gekauft? Nun zu Dir Mama, was machst Du denn an einem Sonntag immer? Die Zeit vergeht sehr rasch. Wenn Du den Brief bekommst so bin ich schon 8 Monat von Dir fort. Eine lange Zeit aber die Monate sind sehr rasch vergangen. Hätte ich einen anderen Delikt, so zum Beispiel Diebstahl, Betrug u.s.w. wäre ich schon längst bei Dir, aber so muß ich sitzen, weiß nicht wann ich bei Euch sein werde. Aber ich bin froh daß ich nicht so einen Delikt habe, man kommt sich halt immer besser vor wenn man so hört was die anderen alles haben. Ich werde ja wieder Unbe=
Seite 3
scholten ins Leben treten, drum liebe Mama, du brauchst Dich für mich nicht schenieren, ich lerne mir nichts schlechtes hier an, das versprich ich Dir. Ich bin nur froh, daß ich meinem Beruf nachgehen kann. Ja leben Du [= tu] ich auch für Dich, bleibe mir nur gesund, ich kann Dir nur immer sagen kränke Dich nicht um mich. Wenn ich Dich nur sehen könnte, dann wäre es besser. Als ich am Samstag das Dirndl bekommen habe, habe ich es gleich angezogen, es ist mir ein bißchen zu kurz aber das macht nichts, ich habe daraus gesehen, daß ich ein Stück gewachsen bin. Die Feiertage sind auch vorbei, wie hast Du denn verbracht? Also liebe Mama bleibe mir gesund und weine nicht. Grüße mir Tante u. Onkel sowie alle anderen in Meidling, Familie Laßmann, Adolf samt Familie, Hofstetter, Fr. Freismuth und alle recht herzlich.
Viele Busserln von Deiner Anny.
Randnotiz
Hoffentlich können wir uns sehen!
Grüße mir klein Hänschen und Mutter.
Biografie Anna Gräf
Objekt
Brief aus dem Wiener Landesgericht von Anna Gräf an ihre Mutter, von der Zensur einbehalten, die Mutter hat den Brief nie bekommen
20. Juni 1943
Papier, A3, gefaltet, Vordruck, mit Tinte
Archiv
Bundesarchiv
R3017/23609