Zurückschlagen als Widerstand

Irena Rowińska
Zitate
2003


Irena Rowińska wird 1944 gemeinsam mit ihrer Mutter aus dem besetzten Warschau nach Oberösterreich deportiert. Vom Konzentrationslager Mauthausen werden Mutter und Tochter zur Zwangsarbeit in Betriebe der Umgebung gebracht. Sie müssen bei Steyr-Daimler-Puch arbeiten und Irena Rowińska wird auch in einem Linzer Kaffeehaus als Hilfskraft eingesetzt. Mit List und Widerstandsgeist wehrt sich die damals erst 13-Jährige gegen ihre Vorgesetzten. Die Art, wie Irena Rowińska ihre Geschichte erzählt, zeigt nicht nur ihr jugendliches Alter, sondern auch, wie sie sich mit Ironie und Sarkasmus vor der Gewalt der Erinnerungen schützt.


Wir wussten nicht, dass das Mauthausen heißt 

Endlich blieb der Zug stehen. Ich weiß nicht, ob es bereits Nacht war, es war jedenfalls schon dunkel. Und sie haben angefangen zu brüllen, dass wir aussteigen sollen. Kaum ist es hell geworden, begannen sie uns zu zählen. Sie haben uns in Viererreihen aufgestellt. Sie zählten die Viererreihen. Da haben sie bis weiß Gott wieviel hingezählt, und dann war es falsch, also besser in Fünferreihen. Na ja, dann in Fünferreihen, auch falsch. Und so weiter. Es ging wahrscheinlich darum, unsere Stehzeit dort zu verlängern, weil es für uns keinen Platz gab. Die Baracken waren voll und die Zelte, die außerhalb des Lagers standen, waren auch belegt. Man musste irgendwas freibekommen, um uns dort unterzubringen. Ich weiß nicht, wie viele Stunden vergangen sind, bis wir in einem dieser Zelte landeten. Und so sind vielleicht drei Wochen vergangen. Aber wir wussten nicht, dass das Mauthausen heißt, woher auch. Weil niemand so gnädig war, uns das zu sagen, nicht wahr.

Für mich war Arbeit etwas Ungewöhnliches

Und später haben wir erfahren, dass wir in der Fabrik Steyr-Daimler-Puch arbeiten sollen, weil so heißt sie jetzt. Also, für mich war Arbeit etwas Ungewöhnliches. Weil ich damals, vergessen Sie nicht, dreizehn war. Ein Deutscher stellte mich an so eine Maschine, in dieser Fabrik. Er erklärte mir irgendwas, lange und bildhaft, aber mir war das egal, weil ich ja sowieso nichts davon verstanden habe. Da ließ er vor mir diese Maschine laufen, das war eine Drehmaschine und versuchte, aus mir eine Dreherin zu machen. Er gab mir drei Drehmaschinen und irgendwelche Teile, zum Drehen. Und so ging ich von einer Maschine zur anderen, ganze 12 Stunden lang, von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. Mit einer einstündigen Pause für das Essen: großartig „Mittagessen“ genannt. Na und natürlich machte ich diese Teile falsch, denn wie sollte ich sie machen, wo ich doch von der Arbeit an einer Drehmaschine keine Ahnung hatte. Jedes Mal bekam ich eine [Ohrfeige] ab, nicht wahr, er brüllte auf mich ein wie ein Stier, und ich wusste nicht, worum es ihm geht. Also zuckte ich mit den Schultern und das war unser ganzer Kontakt.  

Bei 20 Grad Kälte

Also die Aufgaben [im Kaffeehaus in Linz] waren auch wunderbar, weil ich zum Beispiel bei 20 Grad Kälte die Außentreppe aufwaschen musste, und ich hatte keine Kleidung, nur eine Jacke mit kurzen Ärmeln. Na und keine Strümpfe. Es war ganz wunderbar. Aber irgendwie wusste ich mir zu helfen, weil ich mir gedacht habe, warum soll ich eigentlich diese Treppe aufwaschen? Ich habe mich also umgesehen und niemand hat hergeschaut, also nahm ich den Kübel, goss das Wasser auf die Treppe aus, fuhr mit einem Fetzen darüber, nicht wahr, damit es fror. Es kam der Alte, also dieser alte Knacker, da ist er natürlich ausgerutscht. Natürlich habe ich ihm gesagt, dass die Chefin, seine Frau, mir das befohlen hat, weil er mich schon anbrüllte. Also machte er ihr einen fürchterlichen Krach, und sie hat mich nie mehr auf der Treppe stehen und sie aufwaschen lassen, nicht wahr, bei 20 Grad minus.


Biografie Irena Rowińska


Objekt
Irena Rowińska im Gespräch mit Monika Kapa-Cichocka (Audio- und Video-Interview)
25. April 2003, Warschau, Polen
Originalsprache Polnisch
Transkript: Deutsche Übersetzung von Joanna Ziemska

Archiv
Sammlungen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen
AMM OH/ZP1/795

Literatur

Stefan Hördler, Volkhard Knigge, Rikola-Gunnar Lüttgenau und Jens-Christian Wagner (Hg.)
Zwangsarbeit im Nationalsozialismus
Katalog zur Ausstellung in Steyr
Göttingen 2016
 
wert
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