Zurückschlagen als Widerstand

Gisèle Guillemot
Zitate
2002

Gisèle Guillemot war ab ihrem 18. Lebensjahr im Widerstand in Frankreich. Die kommunistische Widerstandsgruppe, der sie angehörte, verbreitete Flugblätter und beteiligte sich an Sabotageakten gegen die Nazis. In einem Interview von 2002 erzählt Gisèle Guillemot die Entstehungsgeschichte ihrer Gruppe im Jahr 1940. Sie berichtet von den vielen kleinen und großen Aktionen für ein freies Frankreich, die alle gemeinsam die Résistance, den französischen Widerstand ausmachten.


Wir machen Widerstand hier bei uns

Wir wohnten in einer Arbeitersiedlung und dort gab es Unterschiede zwischen den Arbeitern, die mich schockierten. Unser berühmtes „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ war also ein schöner Traum. 1936 war ich 14 Jahre alt und von da an frequentierte ich Gruppen, die sich explizit links verorteten. Für uns ging die Sonne im Osten auf, auch wenn ich selbst nicht in der Kommunistischen Partei war. Mit einem Wort, die Politik faszinierte mich und wie alle Leute, die sich für Politik interessieren, hatte ich große Angst vor dem Faschismus. All das brachte mich ganz natürlich zum Widerstand, denn als Krieg und Okkupation waren, fragten wir uns: „Was tun wir jetzt?“ Natürlich waren wir Anti-Pétainisten. Einige sagten sich: „Wir gehen nach London!“ Es gab zwar viele Boote, die in den Hafen von Wistread schaukelten, aber keiner wusste, wie man sie steuert und keiner konnte schwimmen damals, das war nicht wie heute. Und dann sagten die Kommunisten: „Es ist nicht nötig, ins Exil zu gehen, wir machen Widerstand hier bei uns, in unserer Arbeitersiedlung.“

Zucker und Sand

Wir waren eine kleine Gruppe von sechs und für mich hat die Sache im Dezember 1940 begonnen, 6 Monate nach der Okkupation. Was heißt Widerstand? Es war nicht so leicht. Wir hatten nicht sofort Revolver, auch keine Bomben, um sie den Deutschen in den Weg zu legen. Also streuten wir Zucker, später dann Sand in die Motoren der Lastwägen, die in der Nähe unserer alten Schule parkten. Unsere kleine Gruppe trieb immer gerne Unfug. Wir verdrehten die Wegweiser. Wir schrieben Plakate auf Deutsch, wir schrieben das überall auf die Mauern, und wir hatten viel Spaß dabei. Dann nahm uns die kommunistische Gruppe der Erwachsenen in Caen an der Hand. Wir verteilten Flugblätter in der Arbeitersiedlung und am Ausgang der Fabrik. Wir baten die Arbeiter zu sabotieren oder so wenig wie möglich zu arbeiten. Sehr schnell lernte ich, wie man Flugblätter herstellt und redigiert, sie zu tippen und weiterzugeben. Und dann produzierten wir eine kleine Zeitung: Das freie Calvados.

Attentate überall in Frankreich

Wir hatten immer mehr Missionen, bis September 1941, als unsere kleine Gruppe von sechs ihre Aktionen sehr teuer bezahlte. Ein Junge wurde bei einem Treffen schwer verletzt, das an die Deutschen verraten worden war, und starb an den Folgen. Ein zweiter wurde bei einer Flugblattaktion verhaftet und im Dezember 1941 hingerichtet. Es gab eine ganze Serie bedeutender Attentate überall in Frankreich. Und die Deutschen ergriffen drastische Maßnahmen. Jedes Mal, wenn sie einen Toten hatten, erschossen oder deportierten sie eine gewisse Zahl von Geiseln. Mein Kamerad wurde im Dezember 1941 als Geisel hingerichtet. An diesem Tag töteten die Deutschen 100 Personen. Also zerstreute sich unsere Gruppe und später wurde ich von der Leitung der „Francs-tireurs et partisans“ (FTP) zurückgeholt. Ich wurde Teil der leitenden Jugendgruppen. Es war nicht so einfach, Widerstandsgruppen zu gründen. Die Leute hatten Angst und auch die Eltern waren ein Hemmnis. Man war damals ja erst mit 21 Jahren volljährig. Wir mussten die Jugendlichen also von überall zusammenholen, aus den höheren Schulen, den Gymnasien, den Fabriken.

Entgleisungen und kleine Störaktionen

Dann begann eine wichtige Sabotagearbeit. Meine Kameraden von der Eisenbahn SNCF ließen zwei Züge entgleisen und verursachten dadurch bei den Deutschen viele Tote. Danach kam es zu Geiselverhaftungen. In Calvados verhafteten sie fast 100 Personen und diese Geiseln wurden im Juli 1942 deportiert. Nach den Entgleisungen organisierten die Deutschen Wachen, die zwischen Cherbourg und Maastricht die Gleise bewachten. Wir konnten keine großen Dinge mehr durchziehen, aber wir machten kleine Störaktionen. Zum Beispiel ging man zu viert oder fünft auf die Gleise. Man begann loszuschrauben und wurde natürlich von der Gleiswache überrascht. Also diskutierte man mit der Wache und sagte: „Gut, du gibst [später] Alarm, aber das wird [auch] stören“, und man machte das drei oder vier Mal in einer Nacht. Das führte dazu, dass die ganze Eisenbahnlinie gestört war. Es war eine kleine Sache, aber all diese kleinen Dinge haben schließlich die große Résistance ausgemacht.


Biografie Gisèle Guillemot


Objekt
Gisèle Guillemot im Gespräch mit Julia Montredon (Audio- und Video-Interview)
1. August 2002, Seillans, Frankreich
Originalsprache Französisch
Transkript: Deutsche Übersetzung von Karin Stögner

Archiv
Sammlungen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen
AMM OH/ZP1/331

Literatur

Gisèle Guillemot, Samuel Humez
Résistante – mémoires d’une femme, de la Résistance à la déportation
Neuilly-sur-Seine 2009 (Französisch)

Gisèle Guillemot
(Entre parenthèses)
De Colombelles (Calvados) à Mauthausen (Autriche), 1943 – 1945
Paris 2001 (Französisch)

Nuit et Bruillard (Nacht und Nebel)
Dokumentarfilm, 32 Minuten
Regie: Alain Resnais
Kamera: Ghislain Cloquet, Sacha Vierny
Musik: Hanns Eisler
Text: Jean Cayrol
Deutsche Bearbeitung: Paul Celan

Frankreich 1955 (Deutschland 1956)
wert
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