Überzeugen als Widerstand

Rote Jugend
Zeitschrift Rote Jugend
1941 – 1942

Die Zeitschrift Rote Jugend wurde vom Kommunistischen Jugend Verband (KJV) herausgegeben. Auch die „Gruppe Soldatenrat“ verteilte die Rote Jugend. Informationsmaterial weiterzugeben gehörte zur Widerstandsarbeit. Stadt und Land wurden in Gebiete aufgeteilt, die die Jugendlichen heimlich mit „Literatur“ bestückten. Unter dem Naziregime gab es keine Meinungsfreiheit. Herstellung und Weitergabe von Flugblättern und Zeitungen gegen die Nazis galt als „Hochverrat“ und wurde streng bestraft. Man musste also vorsichtig sein. Die Materialien wurden nachts auf Bahnhöfen und in Telefonzellen deponiert, oder man streute sie zu Stoßzeiten im Zug und in der Straßenbahn auf dem Boden aus. Die Vervielfältigung war mühsam, weil man Kopien damals nicht unbemerkt in großen Mengen herstellen konnte. Mit einem Vervielfältigungsapparat ließen sich mehrere Kopien auf einmal machen. Stand ein solcher nicht zur Verfügung, musste man das Material mit Schreibmaschine abtippen oder von Hand abschreiben.

Zu sehen sind Fotos von Widerstandskämpfer*innen, die im KJV und in der „Gruppe Soldatenrat“ aktiv waren. Fast alle Fotos sind undatiert und vermutlich aus den 1930er- und 1940er-Jahren. Die handschriftlichen Notizen auf der Rückseite ermöglichen, ein paar junge Männer und Frauen namentlich zu nennen: Alfred Rabofsky (Foto 2), Hansi Lamper (Foto 2), Anni Dittelbach (Foto 3 und 7), Otto Weichselbraun (Foto 3), Erna Diwisch mit ihrer Schwester (Foto 4), Anny Gräf (Foto 5), Fritz Muzyka (Foto 6 und 7), Hilde Goschler (Foto 6), Grete Weichselbraun (Foto 6), Erich Dittelbach (Foto 7). Nur das erste Foto lässt sich eindeutig zuordnen. Es zeigt Elfriede Hartmann in den Armen von Rudolf Mašl (Foto 1). Auf der Rückseite eine handschriftliche Notiz mit Bleistift: „Dem unbekannten, altbekannten Brüderlein meines Buben. Friedl. Wien, 13. 1. 40“


Zeitschrift Rote Jugend, Editorial

Diese Zeitung wurde hinter dem Rücken der faschistischen Schergen hergestellt. Wirf sie nicht weg, gib sie weiter und vergiss von wem Du sie bekommen hast.


Zeitschrift Rote Jugend, Oktober 1941, Seite 6

Im Lande des „deutschen Sozialismus“.

Das nachweisbare Jahreseinkommen Herrmann Görings betrug im Jahre 1940 1,545.000 Rm. Die 6 Vorstandsmitglieder der Bank der deutschen Arbeit erhalten jährlich 4 1/2 Millionen Rm an Tantiemen. Die staatlichen Schifffahrtsgesellschaften Napag und Norddeutscher Lloyd wurden in privaten Besitz übergeführt. In der Wiener Nationalbibliothek wurde die Ausgabe von deutschen Zeitungen aus dem Vorjahr gesperrt. Diese gelten als verboten. Die Zeitung Das Reich berichtet, dass die Zahl der Studierenden im Studienjahr 1939/40 um 20% gegenüber dem Vorjahr gesunken ist.


Zeitschrift Rote Jugend, November 1941, Seite 2

Die Werktätigen Wiens beschlossen zur Feier des 12. November und zum Zeichen ihrer Solidarität mit den Opfern ihres revolutionären Kampfes an diesem Tage die Arbeitsleistung noch mehr zu senken als bisher. In diesem Zusammenhang zeigte es sich nun plötzlich, dass die Mehrzahl der Arbeiter Wiens an einer Unmenge von organischen Krankheiten litt. Es waren das: Kurzsichtigkeit, Gedäch[t]nisschwund, Muskelschwäche, krankhafte Nikotinsucht und allgemeines Übelbefinden. Hier einige der Folgen dieser traurigen Leiden:

Auf einem Bauplatz wurden 6 m lange Pfosten benötigt. Das Holzlager dieses Betriebes liegt ungefähr 400 Schritte von der Baustelle entfernt. Die Arbeiter verfügten leider an diesem Tage über ein so schlechtes Augenmass, dass sie nacheinander 4, 5 und 9 metrige Pfosten in Massen brachten. – Auf einer militärisch wichtigen Baustelle hatte der Führer eines Zangenbaggers volle drei Mal an diesem Tage das Unglück, dass ihm das Führungs[s]eil des Greifers aus der Rolle sprang. Das Einrichten dauerte jedesmal über 3/4 Stunden. Während dieser Zeit konnten natürlich keine Boris mit Material beladen werden und der Baubetrieb stockte völlig. – Zum Verladen einer Zugmaschine wurden auf einem Wiener Bahnhof mehr als ein halber Tag benötigt. Noch nie wurden auf den Frachtenbahnhöfen Wiens beim Verladen von Obst und Gemüse so viel Holzsteigen zerbrochen wie an diesem 12. Die Verladearbeiter litten nämlich alle an diesem Tage an nervösem Zittern der Arme. – In einer Erzeugung von Uniformknöpfen sank die Produktion am 12. Nov. fast auf die Hälfte. In einer grossen Metalldreherei musste ein grosser Teil der Werkstücke neu angefertigt werden, da es den Drehern nicht gelingen wollte, die gewünschten Masse einzuhalten. Das ist ein kleiner Ausschnitt von den Gedenkfeiern der Arbeiter Wiens am 12. November.


Zeitschrift Rote Jugend, Dezember 1941, Seite 1

Viel Feind, viel Ehr.

Am 11. November schlug Hitler höchst eigenhändig den letzten Nagel in seinen Sarg: Er erklärte der U.S.A. den Krieg. – Amerika heisst nicht zu Unrecht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Es hat 150 Mill. Einwohner und kann leicht eine Armee von 20 Millionen Mann aufstellen. Die U.S.A. ist neben der Sowjetunion das einzige autarke Land der Erde, d.h. es kann ohne Einfuhr leben und seine gewaltige Industrie versorgen. Diese Industrie ist die leistungsfähigste der ganzen Welt. Die Flotte der U.S.A. ist nur um ein weniges kleiner als die Britische und übertrifft die Flotten Deutschlands und Italien[s] um ein vielfaches. Ein ungeheures Flottenbauprogramm wird ihr binnen kurzem eine erdrückende Stärke verleihen. An die Seite Amerikas sind bis jetzt folgende Staaten getreten: Niederländisch Indien (80 Mill. Einwohner und eine starke Flotte); Mexiko (wichtige Rohstoffe); Uruguay, Costarica, Nicaragua, Honduras, Cuba und Panama. Viel Feind, viel Ehr…

Doch wir haben ja auch einen Bundesgenossen gewonnen: Japan, das Land der aufgehenden Sonne und der niedrigsten Löhne der Welt. Seine Flotte ist um 40% kleiner als die Flotte der U.S.A. Sein Landheer schlägt sich schon das 5. Jahr erfolglos mit den Chinesen herum. Die japanische Industrie ist zu 89% auf die Einfuhr überseeischer Rohstoffe angewiesen. Durch einen Gangsterüberfall á la Hitler gelang es zwar den japanischen Imperialisten, einige Anfangserfolge zu erzielen, doch da jetzt das Überraschungsmoment fehlt, wird es ihnen schwer werden, neue Siege zu erringen. Japan kann die U.S.A. weder erobern, noch aushungern, was umgekehrt jedoch sehr gut möglich ist. Wie wenig siegesgewiss man in Tokio ist, zeigt die Aeusserung des Ministerpräsidenten, der von einem 100 jährigen Krieg spricht. Der Herr Ackerba[u]minister hingegen erklärt zuversichtlich, dass für mindestens ein Jahr Lebensmittel vorhanden seien. Wir fragen uns besorgt, womit sich unsere wackeren Bundesgenossen während der restlichen 99 Jahre ernähren wollen.

Wie düster die Aussichten der Achse auch sind in diesem neuen Konflikt, so ist die Ablenkung der Goebbelspropaganda sehr gelegen gekommen. Mit Staunen sehen wir in den deutschen Zeitungen Seiten lange, sich immer wiederholende Berichte aus Ostasien, während man die russische Front mit ein paar nichtssagenden Worten übergeht. Gibt es nichts Neues im Osten? Seit dem 29. Nov., dem Tag der Eroberung Rostows durch die Sowjettruppen, erleidet die deutsche Wehrmacht an der ganzen Front eine schwere Niederlage nach der anderen. Vor Moskau begannen die deutschen Armeen Mitte November mit der 6. ihrer verlustreichen Offensiven. Allzu gerne hätte man den Antikomintern „Mächten“, die in Berlin ihr Affentheater aufführten, die Einnahme Moskaus serviert. Doch Moskau hielt stand. Die seit Monaten in Auflösung befindliche, vernichtete, restlos geschlagene, zu 3/4 gefangene Rote Armee, deren Generäle schon längst von Stalin geköpft wurden, hat allen Angriffen getrotzt. Ja noch mehr: Sie ging zur Gegenoffensive über, und bereitete den deutschen Truppen eine schwere Niederlage.

Die Rote Armee und das Sowjetvolk haben der Welt bewiesen: Die deutsche Wehrmacht ist nicht unbesiegbar. Der deutsche Faschismus hat seine erste schwere militärische Niederlage erlitten. Es wird nicht seine letzte gewesen sein.


Biografie Edith Gadawits

Biografie Anna Gräf

Biografie Elfriede Hartmann

Biografie Rosa Hofmann



Objekte
Zeitschrift Rote Jugend
Cover der Ausgaben:
1941: Oktober, November (mit Innenseiten), Dezember
1942: Jänner, Feber
Zitate aus den Ausgaben 1941:
Oktober, November, Dezember
Papier, A4, mit Schreibmaschine


Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
4063/33



Objekte
Fotos junger Widerstandskämpfer*innen
Foto 1: 1940

Fotos 2-7: Ohne Datum, 1940er-Jahre und davor

Archive
Foto 1: Privatarchiv Georg Tidl
Fotos 2-7: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Fotoarchiv, 7/1, 7/3, 7/8, 633/1, 2678



Literatur

Marie Tidl
Die Roten Studenten
Dokumente und Erinnerungen 1938 – 1945
Karl R. Stadler (Hg.)
Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 3
Wien 1976

Lisl Rizy, Willi Weinert (Hg.)
„Mein Kopf wird euch auch nicht retten“
Korrespondenzen österreichischer WiderstandskämpferInnen aus der Haft
Wien 2016



  
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