Zurückschlagen als Widerstand

Helene Pawlik
Zitate
2001


Hier zu sehen ist das Arbeitsbuch von Helene Pawlik. Im Buch steht „Irene“ statt „Helene“. Vermutlich wurde Helene Pawlik falsch verstanden, als sie auf der Gemeinde ihren Namen nannte. Sie konnte nicht lesen und schreiben. Obwohl das Arbeitsbuch aus dem Jahr 1950 stammt, kann man an manchen Stellen die Nachwirkungen der Nazizeit erkennen. Das „Rundschreiben an alle Bürgermeister und Gendarmerieposten“ aus dem Jahr 1942 könnte dagegen fast von heute sein. Es zeigt den (gescheiterten) Versuch der Behörden, humanitäre Hilfsbereitschaft gegenüber „Ausländern“ zu kriminalisieren und zu verhindern.

Helene Pawlik wird 1940 aus Polen zur Zwangsarbeit nach Niederösterreich deportiert. Sie ist 25 Jahre alt und muss auf dem Hof der Familie Bauer in Hafnerbach bei St. Pölten arbeiten. Das bedeutet täglich 12 Stunden harte Feldarbeit ohne Freizeit oder einen freien Sonntag. In mehreren Interviews von 2001 spricht Helene Pawlik über die Jahre der Zwangsarbeit in der Landwirtschaft. Wie viele andere Deportierte war sie mit physischer und sexueller Gewalt durch den Arbeitgeber konfrontiert und wehrte sich, so gut es ging. 1941 brachte Helene Pawlik ihren Sohn Josef auf die Welt und blieb, anders als die meisten, nach der Befreiung in Österreich. Schadenersatz für die Zwangsarbeit unter dem Naziregime hat sie niemals erhalten.


Die Rettung hab ich selber bezahlt

Die Zeit ist so schnell vergangen. Schwanger war ich, aber das war egal, ich musste arbeiten. Der Bauer hat gesagt: „Du bist ja nicht krank. Nimm die Hacke, die Schaufel, gehen wir arbeiten!“ Dann hatte ich einen Blasensprung. Ich hab gesagt: „Ich geh telefonieren, dass ich ins Spital komme.“ Die Bäuerin sagte: „Nein, wir müssen noch Erdäpfel ausackern.“ Da hab ich mit dem Ochsen noch Erdäpfel ausgeackert bis vier Uhr.“ Ich hab gesagt: „Aber ich will mein Kind nicht auf dem Acker bekommen, ich geh heim.“ Und die Rettung hab ich selber bezahlt. Das hat die Krankenkassa in der Hitlerzeit gar nicht bezahlt. 20 Mark habe ich bezahlt. Als ich 1940 hergekommen bin, war die Vorschrift vom Hitler 18 Mark. Und als ich dann mehr gearbeitet hab, waren es 19 Mark, bis 1941. Der Sepp ist im September 41 geboren, da habe ich 10 Mark im Monat gekriegt, nicht mehr.

Mit mir nicht mehr!

Einmal beim Arbeiten auf dem Kukuruz-Acker hat er gesagt: „Du machst so wenig, das passt mir nicht.“ Das hat ihm nicht gepasst und das nicht. Ich hab ja auch zurückgeredet, aber ich will mich ja nicht streiten. Wie oft hab ich ihm gesagt: „Gib Ruh.“ Und da hat er einen Stecken [= Stock] genommen und seinen Zorn an mir ausgelassen. Da hat er mich geschlagen und da bin ich narrisch [= wütend] geworden. Ich bin weinend zur Bäuerin in die Küche gerannt und er ist nachgekommen. Er hat gesagt: „Jetzt erschlag ich euch alle zwei.“ Und ich hab gesagt: „Aber mit mir nicht mehr jetzt und die Bäuerin schlägst du auch nicht mehr!“ Da hab ich so Holzschlapfen gehabt. Unter dem Krieg haben wir ja nichts anderes gehabt. Ich hab ihm zwischen die Füße hineingehaut und er ist liegen geblieben. Und ich und die Bäuerin, wir sind davongerannt. Von dieser Zeit an, muss ich Ihnen ehrlich sagen, der ist mir nie wieder nahegekommen.


Arbeitsbuch von Helene Pawlik (Auszüge)

§ 1.
Jeder in einem Betrieb der Land= und Forstwirtschaft beschäftigte Dienstnehmer muß mit einem Arbeitsbuch nach dem Muster in der Anlage versehen sein.

§ 2.
Das Arbeitsbuch ist für alle arbeitsbuchpflichtigen Dienstnehmer, gleichgültig, ob In= oder Ausländer oder Saisonarbeiter, dasselbe. Im Arbeitsbuch für Ausländer ist jedoch auf Seite 1 des Arbeitsbuches mit roter Tinte der Vermerk „Ausländer“ anzubringen.

§ 7. (4), (5)
Das Gemeindeamt darf Eintragungen in das Arbeitsbuch nur auf Grund vorgewiesener Dokumente vornehmen; lediglich die Eintragungen der bisherigen Beschäftigungsverhältnisse von längerer Dauer dürfen auf Grund eigener Angaben vorgenommen werden, falls Zeugnisse oder Dienstbestätigungen nicht beigebracht werden können und auch eine Bestätigung der für das einzelne Dienstverhältnis zuständigen Krankenkasse nicht erreichbar ist; in diesem Falle sind die Eintragungen mit dem Zusatzvermerk „laut Angabe“ zu versehen.
Sämtliche Eintragungen in das Arbeitsbuch dürfen nur mit Tinte gemacht werden.


Rundschreiben an alle Bürgermeister und Gendarmerieposten, 23. 10. 1942 (Auszüge)

Es wurde schon wiederholt die Wahrnehmung gemacht, daß Ausländer, die im Reichsgau Steiermark in Arbeit stehen, insbesondere aber Ostarbeiter, die meist nur äußerst mangelhaft mit Kleidung ausgestattet zum Arbeitseinsatz gelangen, von Bauern oder anderen Stellen mit den notwendigsten Kleidungsstücken ausgestattet werden, unter welchen sich vielfach auch Steireranzüge oder Teile davon befinden.

Ein Ausländer, der Steirertracht trägt, ist nicht mehr ohne weiteres als Ausländer zu erkennen. Wenn es sich hierbei aber um fremdvölkische Arbeiter handelt, die hier in großer Anzahl im Arbeitseinsatz stehen, so bilden solcher Art getarnte Arbeiter eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die Sicherheit von Personen und Eigentum. Ich weise Sie daher an, streng darauf zu achten, daß die unbefugte Tragung von Steirertrachten auf jeden Fall verhindert wird.


Biografie Helene Pawlik

Biografie Hermine Žlatnik


Objekt
Arbeitsbuch Helene Pawlik
1950

Archiv
Privatarchiv Romana Pawlik


Objekt
Rundschreiben des Landesrates in Oberwart, Dr. Hinterlechner, an alle Bürgermeister und Gendarmerieposten betreffend unbefugtes Tragen von Steirertrachten durch Ausländer
23. Oktober 1942

Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
8058


Objekt
Zitate von Helene Pawlik im Gespräch mit Ela Hornung und Ernst Langthaler (Audio- und Videointerview)
2001, Hafnerbach, Niederösterreich
 
Archiv
Privatarchiv Ela Hornung, Ernst Langthaler, Sabine Schweitzer
(Videointerview mit Helene Pawlik)
 

Literatur

Stefan Hördler, Volkhard Knigge, Rikola-Gunnar Lüttgenau und Jens-Christian Wagner (Hg.)
Zwangsarbeit im Nationalsozialismus
Katalog zur Ausstellung in Steyr
Göttingen 2016

Ela Hornung, Ernst Langthaler, Sabine Schweitzer
Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich und im nördlichen Burgenland
Wien 2003
 
wert
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