Zurückschlagen als Widerstand

Anna Čadia
Zitate
1988

Diese Zeichnung, ein Selbstporträt, fertigte Anna Čadia nach einem Foto an. Die Zeichnung zeigt sie als alte Frau und dürfte in den 1980er-Jahren entstanden sein. In der Nazizeit war Anna Čadia in einer kommunistischen Widerstandsgruppe aktiv und sammelte Gelder für politisch Verfolgte. Sie wurde jedoch verhaftet und 1942 nach Ravensbrück deportiert. In einem Gespräch von 1988 erzählt Anna Čadia über die Zeit im Konzentrationslager. Die Häftlinge mussten auf ihrer Kleidung Markierungen tragen. Anna Čadia trug den Roten Winkel der politischen Gefangenen. Die Zeuginnen Jehovas, damals „Bibelforscherinnen“ genannt, trugen den Lila Winkel. Auch wenn Widerstand im Konzentrationslager fast unmöglich war, so wehrten sich viele Frauen trotzdem: Sie traten nicht zum Apell an. Sie redeten schlagfertig zurück. Sie versuchten gemeinsam, einander zu schützen.


Es sind Zustände gewesen

Die Bibelforscherinnen, die einen Lila Winkel gehabt haben, sind nicht zum Appell angetreten, weil sie jede militärische Formation ablehnen. Dann sind sie an den Haaren herausgezogen worden, dann sind sie aber nicht gestanden und dann ist die Aufseherin mit dem Stiefelabsatz draufgestiegen, auf den Kopf und auf den Mund und auf die Augen. Es sind Zustände gewesen, das hat man sich gar nicht vorstellen können. Da hast du nur die Augen zumachen können und denken: Ich will nichts sehen und nichts hören. Ich war meistens wie ein Automat, die Füße sind gegangen, die Hände haben gearbeitet, weil arbeiten hast du müssen.

Ich bin in das Bekleidungswerk gekommen. Dort wurde die Häftlingsbekleidung hergestellt: Hose, Jacke, Hemd und ein Kapperl, und das wurde dann am Abend angeliefert zum Stapeln. Und das Stapeln habe ich übergehabt. Außer der Häftlingsbekleidung wurde auch Verschiedenes für Nachrichtenhelferinnen gestapelt: Reizwäsche, Höschen und Hemderln, schöne Strümpfe und Handschuhe. Auch SS-Monturen, SA-Monturen und Anoraks für die Titelarmee in Norwegen. Diese Nachrichtenhelferinnen-Ware, das waren prima Sachen, die man in den Geschäften nicht mehr gekriegt hat, weil ja alles kontingentiert war, unter Hitler. Und das hat der SS in die Augen gestochen, die wollten was haben zum Heimschicken.

Nehmen Sie sich doch selbst!

Der eine Aufseher, der SS-Mann, hat zu mir gesagt: „Da, packen Sie mir ein Paket!“ Habe ich gesagt: „Aber Herr Klappert, nehmen Sie sich doch selbst!“ Ich lass mich wegen ihm nicht hängen, weil die Häftlinge sind verantwortlich gemacht worden, er ist höchstens versetzt worden. Aber ich wäre am Galgen gehängt. Hat er mich angeschaut: „Sie Bibelforscherin!“ Da habe ich gewusst, ich habe nichts mehr zu lachen. So wie meine Vorgängerin liege ich am Boden und werde zertreten. Vor mir war eine andere Frau beim Stapeln und die ist zertreten worden, faktisch, vom SS-Mann. Sie ist dann noch ins [Kranken-]Revier gekommen als fleischige Masse, aber sie ist gestorben klarerweise.

Jetzt habe ich versucht, ihm immer auszuweichen. Es gab eine Kolonne von 10 Frauen und diese 10 Frauen haben das Stapeln gemacht. Und ich habe ja nur die Zettel schreiben brauchen und das Buch führen darüber. Aber wenn er mich allein beim Schreibtisch trifft, dann bin ich ja weg! Jetzt habe ich mit der Kolonne Packerln getragen. Die Schreibarbeiten habe ich halt dann gemacht, wenn nichts mehr zum Tragen da war. Aber ich war nie ohne Kolonne. Und er hat immer geschaut, dass er so an der Kolonne entlang geht, dass er mich mit dem Stiefelspitz treten kann.


Biografie Anna Čadia

 
Objekt
Zeichnung (Selbstporträt), ohne Datum
Papier, A4, mit Bleistift 

Archiv
Privatarchiv Eva Schmeiser Čadia


Objekt
Zitate von Anna Čadia im Gespräch mit Margitta Kaltenegger (Audio-Interview)
1988, Volkshaus Graz 

Archive
Privatarchiv Liesbeth Hornik-Turnowsky
Privatarchiv Ernest Kaltenegger
 
wert
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