Kritisieren als Widerstand

Der Miesmacher hält eine Führerrede
1943, 1944

Der „Miesmacher“ ist eine Serie von Spottgedichten im österreichischen Dialekt. Er kursierte als Flugblatt oder Flüsterwitz. Im Exil sammelten Emigrant*innen den „Miesmacher“ und verbreiteten ihn weiter. Schriftlich oder auch in Radiosendungen, die illegal in Österreich empfangen werden konnten. Die BBC strahlte schon 1938 erstmals auf Deutsch aus. In der Sowjetunion wurden zwei Radioprogramme speziell für Österreich produziert. Unter dem Naziregime war das Hören sogenannter „Feindsender“ bei Strafe verboten.

Im Vorwort eines schriftlichen „Miesmachers“, der 1944 in Mexiko erschien, steht: „Indem die Acción Republicana Austriaca de México diese […] im nazibesetzten Wien im Winter 1942-43 kursierenden Miesmacher-Flugblaetter veroeffentlicht, will sie den Oesterreichern auf dem amerikanischen Kontinent die kaempfende Heimat in Erinnerung rufen, als eine Ermahnung zur Pflicht, auf die unbestechliche Stimme unseres Volkes zu hoeren. Dort ist mein Oesterreich, dort ist mein Wien, wo die Freiheitskaempfer die Waffen zieh’n.“ Der „Miesmacher“ war als Aufruf zum Widerstand gedacht und wurde nicht namentlich gezeichnet. Heute vermutet man als Autor der Serie den Schriftsteller und Kommunist Ernst Fischer, der von 1934 bis 1945 in der Sowjetunion im Exil war.


Der Miesmacher hält eine Führerrede (Auszüge)

Zum Beispiel so:

Meine deutschen Volksgenossen!
Die ersten zehn Jahre sind abgeschlossen
von meinem tausendjährigen Reich,
ich blicke zurück und verkünde euch,
bei mir gilt jedes Jahr als Jahrhundert,
denn ich bin ich, das Genie, das sich wundert,
dass so ein Genie wie ich existiert
und nicht sofort den Verstand verliert
vor seiner eigenen Lichtnatur.
Denn so ein Genie, das gibt’s einmal nur,
das ist einmalig, das kommt nicht wieder,
ich fallet am liebsten vor mir selber nieder.
Aus meinem Leben die ältesten G’schichten,
die könnt ich tausend Jahr lang berichten
und mitten im Schlaf gibt’s mir manchmal an Schüttler,
aufspring ich und sag’ zu mir selber: Heil Hitler.

Also sehn’s, für die ersten dreiviertel Stunden
hama den Stoff für die Rede schon g’funden.
Der Stoff heisst Hitler, zwar nicht mehr neu,
aba man flickt ihn schon z’samm in der Aufschneiderei.
Ich sag’s halt in meinem beschränkten Sinn,
weil ich ein alter Miesmacher bin.

Zum Beispiel so:

Meine deutschen Volksgenossen!
Jeder, der was denkt, wird sofort erschossen,
herunter mit den Köpfen, denn jetzt kommt die Zeit
der totalen, absoluten Kopflosigkeit.
Nichts als Füsse, die ins Leere hineinmarschieren,
nichts als Hände, die ins Leere hineinproduzieren,
aber Köpfe?! Ich duld’ keine Denkmaschinen!
In rollendem Einsatz herunter mit ihnen!
Einer für alle? – ja, das tät’ euch so passen!
Alle für einen werd’ ich umbringen lassen,
erschiessen und köpfen, so lang’ man mich lässt,
damit ihr den Führer so bald nicht vergesst!

Also sehn’s für die letzten dreiviertel Stunden
hama den Stoff für die Red’ schon g’funden.
Der Stoff heißt Terror. Aber das ist zumeist
ein Stoff, der in kürzester Zeit zerreisst.
Dann geht’s nur um EINEN Kopf weit und breit,
DER Kopf ist fällig in kürzester Zeit.
Ich sag’s halt in meinem beschränkten Sinn,
weil ich ein alter Miesmacher bin.


Quelle
Acción Republicana Austriaca de México (Hg.)
Der Miesmacher
Politische Spottgedichte aus Österreich
México D.F. 1944, S. 27-30


Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
1061


Literatur
Radio im Widerstand
BBC im Zweiten Weltkrieg


Abbildung

Der Miesmacher
Politische Spottgedichte
Moskau 1943


Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
15366




 
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